Verdrängt die Regie den Zauber der Musik ?

                     20. März 2021

         Von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper



Seit einiger Zeit schon gibt es immer mehr Inszenierungen, die einen daran zweifeln lassen, was im Rahmen einer neuen Opernproduktion im Mittelpunkt stehen sollte: ein ausgefallenes Regiekonzept oder die Musik sowie die Geschichte, die erzählt wird? So scheinen die zahlreichen oftmals vom Theater kommenden Regisseure mit aller Macht ihre Ideen umsetzen zu wollen. Diese Herangehensweise mag im Theater möglich sein, in der Oper wird genau das zum Problem. Musik, Sprache und Inhalt eines Werks sollten eine Einheit bilden, die Regie sollte all dies hervorheben und unterstreichen. Stattdessen wird die Musik immer öfter zur Nebendarstellerin degradiert, die Sänger auf der Bühne werden zu unwichtigen Randerscheinungen. Diese ausgesprochen negative Entwicklung hat bedauerlicherweise in den letzten Jahren immer weiter an Fahrt aufgenommen. Immer mehr Inszenierungen an den Opernhäusern in Europa werden von den Kreativen dafür genutzt, ihre politischen und gesellschaftskritischen Gedanken sichtbar zu machen, selbst wenn die wunderbare Musik dabei letztlich auf der Strecke bleibt. Die Sänger sind dazu verdammt, immer häufiger Dinge auf der Bühne zu tun, die mit dem Libretto der Oper nichts zu tun haben, die kaum nachvollziehbar sind und die es einem schwer machen, dahinter zu stehen und in den Medien dafür zu werben.



Ein recht anschauliches Beispiel für eine unverständliche und misslungene Regieidee ist die im Februar dieses Jahres an der Opéra national de Paris neu in Szene gesetzte "Aida" von Guiseppe Verdi. Die Regisseurin Lotte de Beer stellte zwei Puppen oder vielmehr lebensgroße Marionetten in den Mittelpunkt des Geschehens, die jegliche Aktion und Intimität zwischen den Sängern verhindert und der Geschichte in keinster Weise gedient haben. Ein ausführlicher Beitrag dazu ist hier auf meinem Blog nachzulesen. Neben den politischen und gesellschaftskritischen Gedanken, die es offenbar um jeden Preis umzusetzen gilt, spielen auch zunehmend die MeToo-Bewegung und das Thema Diversität eine wichtige Rolle. Das bringt noch einmal zusätzliche Schwierigkeiten für jede Neuproduktion. Alles muss politisch korrekt sein, auf der anderen Seite scheint das Motto "immer spektakulärer, auffälliger, ungewöhnlicher" zu sein. Abheben von den anderen und bloß kein Mainstream. Das ist langweilig und ohne inhaltliche Aussage. Etwas aussagen zu müssen, seine Spuren im Sand zu hinterlassen und auch zu polarisieren, ist allem Anschein nach das oberste Gebot. Die Intendanten geben an, mit ungewöhnlichen und "modernen" Regiekonzepten junges Publikum gewinnen und sein Interesse für das wunderbare Genre Oper wecken zu wollen. Das dürfte aber vermutlich der falsche Ansatz sein. Der richtigere Weg wäre es, die jungen Menschen über die Musik neugierig zu machen und zu begeistern. Sie steht im Zentrum und nicht irgendeine spezielle Art der Inszenierung, die den Zugang eher verbaut als Augen und Ohren für die Schönheit und den Zauber der Musik zu öffnen.



Unter all diesen Umständen leiden nicht nur der Großteil der Opernliebhaber und -kenner, sondern auch an vorderster Front die Sänger auf der Bühne, die sich immer mehr damit beschäftigen müssen, die überzogenen Regiekonzepte umzusetzen, anstatt sich auf die Musik, den Inhalt der Geschichte und ihre Rolle konzentrieren zu können. Da die Veträge der Künstler/Innen zum Teil 3-5 Jahre im Voraus geplant und abgeschlossen werden, sind die Einzelheiten der Realisierung oft noch im Dunkeln, insbesondere die szenische Umsetzung. So gibt es zu Beginn der Proben oftmals eine böse Überraschung für die Sänger. Ein Ausstieg ist dann vermutlich nur noch gegen eine hohe Konventionalstrafe möglich. Insbesondere die Stars im Opernzirkus dürften dafür tief in die Tasche greifen müssen. Abgesehen davon macht es alles andere als einen professionellen Eindruck bei den Intendanten, künstlerischen Betriebsbüros und nicht zuletzt den Opernfans. Eine Handvoll Sänger, die in der obersten Liga spielen und sich mit ihren Gedanken in die Produktion und die Regie einbringen, haben möglicherweise noch eine Chance, ein paar Dinge zu ändern, zu beeinflussen und im besten Sinne zu verbessern. Den meisten Künstlern bleibt aber wahrscheinlich nur eines übrig, nämlich den Anweisungen des verantwortlichen Regisseurs zu folgen, das Beste daraus zu machen und zu hoffen, dass am Ende die Musik und der wahre Inhalt des Werks nicht vollständig an den Rand gedrängt werden.



Wie sieht also die Zukunft in der Welt der Oper aus? Sind überzogene und nicht definierbare szenische Umsetzungen in diesem wunderbaren und kostbaren Genre

das, was wir zu erwarten haben? Verdrängt die Regie den Zauber der Musik und die Magie der Oper für immer? Oder ist das alles nur eine vorübergehende Modeerscheinung, die irgendwann wieder von den Bühnen in Europa und der Welt verschwinden wird? Die wichtigste Frage bleibt, was wir gemeinsam - Sänger, Dirigenten, Publikum und auch Journalisten - tun können, um die Schönheit und Einzigartigkeit dieser Musik zu schützen und zu bewahren. Für die Opernsänger wird es sicher schwierig, da diese an ihre Verträge gebunden sind und nur in Einzelfällen ihren Einfluss geltend machen können - das auch nur ab einem bestimmten Status. Inwieweit die leitenden Dirigenten sich einbringen können oder wollen, entzieht sich meiner Kenntnis. Es wäre aber gut denkbar, dass sie bei bestimmten Regieeinfällen ihr Veto einlegen, um das zur Aufführung anstehende Werk davor zu schützen, völlig verzerrt dargestellt zu werden. Text, Inhalt und Musik müssen eine Einheit bleiben und  im Zentrum des Geschehens stehen.

Was aber können wir als Publikum nun tun? Der erste und fast logische Gedanke, der einem in den Sinn kommt, wäre, Inszenierungen zu boykottieren, die den angesprochenen Zauber der Musik und die Magie der Oper zerstören und die Künstler dazu zwingen, Handlungen auf der Bühne auszuführen, die nichts mit dem aufgeführten Werk zu tun haben. Aber ist das wirklich der richtige Weg? Sicher nicht ausschließlich, da wir ja die Oper, so wie wir sie lieben, retten und erhalten wollen. Im Gespräch bleiben, die Stimme erheben und bemerkbar machen. Wir sind es, die die Karten für die zahlreichen Opernvorstellungen kaufen. Wir haben also durchaus einen gewissen Einfluss. Wenn die Sitze in den Opernhäusern plötzlich leer bleiben würden, wäre damit sicher niemandem geholfen. Es wäre allerdings ein recht eindeutiges Zeichen dafür, dass es an der Zeit ist, einen anderen Weg einzuschlagen.



Eines ist mir noch wichtig zu sagen, als jemand, der journalistisch arbeitet, als Inhaberin meines Blogs "Wunderbare Welt der Oper", aber auch als Privatmensch der die Oper so sehr liebt. In diesem Beitrag geht es nicht darum, ob die Inszenierung modern ist oder nicht. Ich habe schon einige neue Produktionen erlebt, die man wirklich nicht als klassisch bezeichnen kann, die aber trotzdem in sich stimmig waren, die Musik, Inhalt, Texte, Sprache nachhaltig unterstrichen und sich nicht in den Vordergrund gestellt haben. Daran ist zu erkennen, ob sich ein Regisseur wirklich eingehend und ernsthaft mit einem Werk vertraut gemacht hat und ob es eine enge Zusammenarbeit und einen intensiven Austausch mit den Sängern, Musikern und dem Dirigenten gegeben hat. Wenn daraus Kreativität und Authentizität hervorgehen, entsteht etwas Großes, Wunderschönes und Unvergessliches. Die Energie des Werkes zu nutzen, das ist das Geheimnis und ein wesentlicher Bestandteil, um den Kern der Oper zu begreifen und herauszuarbeiten. Nicht die Ideen der Regisseure dürfen im Mittelpunkt des Geschehens sein, sondern die Gedanken der Komponisten, als sie ihre Werke erschufen. In jeder Oper gibt es bereits eine Kernaussage. Es besteht kein Bedarf, krampfhaft neue Inhalte zu erfinden.

Ich werde auch weiter all diese Punkte immer wieder ins Gedächtnis rufen und versuchen, den Austausch aufrechtzuerhalten. Ich werde mich für die Musik einsetzen, die ich so sehr liebe, und ebenso für die Künstler/Innen, die sie auf der Bühne zum Leben erwecken.  Die wunderbare Welt der Oper ist meine große Leidenschaft, für die ich brenne und für die ich immer kämpfen werde.


(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes

Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der

äußeren Sinneswelt, die ihn umgibt und in der er alle

bestimmten Gefühle zurückläßt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben.

 

                         (E.T.A. Hoffmann)