Chaos im Kopf und  die Seele in Trauer

Die tote Stadt an der Bayerischen Staatsoper


   von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper

                                     14.Dezember 2019

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Nach fast vier Wochen war sie beendet, die Premierenserie der toten Stadt an der Bayerischen Staatsoper. In den ausgeprochen anspruchsvollen Hauptpartien waren mit Jonas Kaufmann und Marlis Petersen zwei überragende Sänger zu erleben und am Pult führte Generalmusikdirektor Kirill Petrenko sein Orchester, jeden einzelnen Sänger und die Chöre der Bayerischen Staatsoper durch alle Untiefen von Erich Wolfgang Korngolds Meisterwerk. Simon Stone schuf mit seiner äußerst stimmigen Inszenierung den perfekten Rahmen für dieses Werk und seine herausragenden Darsteller, und schenkte dem Publikum sechs unvergessliche Abende in der Vorweihnachtszeit. Mein Beitrag ist als Zusammenfassung aller Vorstellungen zu verstehen. 

Die Musik von Korngold kann man nur als fesselnd, mitreißend, aufwühlend und berührend bezeichnen. Die Filmmusik ist bereits vielfältig zu hören und verbindet sich so ganz wunderbar mit dem Regiekonzept von Simon Stone. Ein Stichwort sei dazu gegeben: Alfred Hitchkocks Klassiker Vertigo. Es ist aber auch die Leitmotivtechnik von Wagner zu vernehmen. Auch Puccini und Richard Strauss klingen immer wieder durch. Die Musik ist nicht unbedingt von Beginn an eingängig, man muss sich einhören, sie kennenlernen und sich damit vertraut machen. Sobald man sich vollständig einlässt auf die Musik von Korngold, wird sie einen nie mehr loslassen. Kirill Petrenko ist dabei der perfekte Begleiter. Wieder einmal hört man ein neues oder auch bekanntes Werk auf eine ganz spezielle Art und Weise .Der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper nimmt auch dieses Mal die Zuhörer mit auf eine ganz besondere Reise und zeigt, wie differenziert man Musik erleben kann. Eine weitere Stärke des Maestro ist es, seine Sänger niemals mit großer Orchesterlautstärke zu überdecken. Im Gegenteil, er trägt sie allzeit auf Händen und bereitet ihnen einen wunderbaren Klangteppich, auf dem sie sich sicher und geborgen fühlen können und in jeder Minute die Möglichkeit haben, frei zu spielen und zu singen. Damit sind sie in der Lage, all die Emotionen ihrer Figuren direkt zu den Zuschauern zu transportieren.

(C) Youtube / Bayerische Staatsoper


Die Inszenierung von Simon Stone ist eine sehr schlüssige Erarbeitung der Handlung von Korngolds toter Stadt; nachvollziehbar, realistisch, berührend, bedrückend und mitreißend Selten habe ich eine so wunderbare Symbiose zwischen der Musik und dem Regiekonzept erlebt. Korngolds fesselnde Musik und Simon Stones schlüssige Regie ergänzen sich bis ins Detail und bieten so den herausragenden Sängern eine Bühne, in der sie all ihre darstellerischen Stärken zeigen und herausarbeiten können. Simon Stone und Korngold erzählen gemeinsam eine Geschichte, die damals wie heute oder auch in der Zukunft so oder ähnlich geschehen könnte. Es ist ein Schicksalsschlag, vor dem kein Mensch sicher ist und darum wirken die Ereignisse in Korngolds Oper auch so realistisch und berühren uns ganz besonders tief. Der offizielle Trailer, das Videomagazin und die wunderbaren Bühnenfotos von Wilfried Hösl geben einen großartigen Einblick in diese Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper die am 18.November Premiere hatte.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Der Verlust eines geliebten Menschen, die Verzweiflung und die Gefahr, von dem unerträglichen Schmerz überwältigt zu werden, gelähmt zu sein und ausser Stande, die Trauer zu verarbeiten, das erzählt Simon Stone mit seinem Regiekonzept. Im Mittelpunkt steht der Witwer Paul, verkörpert vom deutschen Ausnahmesänger Jonas Kaufmann, der nach dem Verlust seiner geliebten Frau Marie ein schweres Trauma erleidet und der nicht in der Lage ist, seine Trauer zu verarbeiten. Er droht, in eine schwere Psychose zu geraten. Durch die intensive Darstellung von Jonas Kaufmann, der in jeder einzelnen Vorstellung Höchstleistungen brachte, erhielt der Zuschauer einen tiefen Einblick in Pauls schwer verletzte Seele. Der junge Mann rutscht nach und nach in seine Wahnvorstellungen ab und verliert sich immer mehr in seiner eigenen Welt. Optisch hervorragend gelöst durch die aufwendige Bühnenkonstruktion und die speziellen Lichteffekte. Am Ende sind aber die eindringliche schauspielerische Leistung des 50jährigen Opernsängers, die aufwühlende Musik und das stimmige Dirigat von Kirill Petrenko führend.

Paul leidet. Seine innere Zerrissenheit, die tiefen Schuldgefühle und der unerträgliche Schmerz bringen ihn an seine Grenzen. Mit dem Beginn der wahnhaften Phase löst sich Pauls Welt auf und es scheint keinen Ausweg mehr zu geben aus diesem Albtraum.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Jonas Kaufmann in der Rolle des Witwer Paul bietet diese Figur alle Möglichkeiten, seine überragenden darstellerischen Fähigkeiten zu zeigen. Die Figur des Paul beinhaltet alles, was den 50jährigen Opernsänger reizt: ein gebrochener Charakter, ein Getriebener, innere Zerrissenheit und eine zu tiefst verletzte Seele. Ein Mensch mit all seinen Facetten, Wünschen, Träumen, Ängsten und Sehnsüchten. Ein Mensch, der tiefen Schmerz erfahren hat und nicht in der Lage ist, damit umzugehen. Jonas Kaufmann vermittelt eindringlich Pauls Verzweiflung und totale Hilflosigkeit. Er berührt die Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute und nimmt sie mit in die aus den Fugen geratene Welt seiner Figur, in der diese sich zu verlieren droht. Der Übergang von der Realität in die Psychose verläuft fließend und plötzlich findet sich auch der Zuschauer mitten in Pauls Albtraum wieder. Zusammen mit seiner großartigen Bühnenpartnerin Marlis Petersen erschuf der Opernsänger eine dichte Atmosphäre, die gefangen nahm und bewegte. Der Münchner hat mit diesem Debüt eine nahezu perfekte Rolle für sich gefunden, die ihm wie auf den Leib geschrieben scheint. Im Gegenteil zur lang erwarteten Partie des Otello 2017 scheint die des Paul eine wirkliche Herzensangelegenheit des symphatischen Ausnahmesängers zu sein. Echtes Leben, echte Emotionen, realistisch, eben ganz nahe an der Wirklichkeit. Jonas Kaufmann legte all sein Herzblut in diese Rolle, füllte sie mit Leben und ganz viel Gefühl. Mimik und Gestik waren jeder Zeit authentisch und unterstrichen seine beeindruckende stimmliche Leistung:

Einmal kraftvoll und dramatisch mit strahlenden Höhen und dann wieder ganz leise, zart und zerbrechlich.  Seine Stimme ist in der Lage, Pauls Gefühle, den Schmerz, den er in sich trägt und an dem er fast zerbricht, sehr ergreifend und ohne Umwege in die Herzen der Zuschauer zu tragen. Das Gesamtpaket Stimme, schauspielerische Leistung, eine starke Verbindung mit seinen Kollegen auf der Bühne und Kirill Petrenko im Orchestergraben hinterlässt bleibende Erinnerungen.

(C) Youtube / Bayerische Staatsoper


Jetzt habe ich ausführlich von der großartigen Leistung des männlichen Hauptprotagonisten gesprochen. Nun wird es Zeit, auf die wunderbare Sopranistin Marlis Petersen in der Rolle der Marietta/Marie zu kommen. Eine bessere Bühnenpartnerin hätte der Münchner Opernsänger nicht finden können. Diese unglaublich quirlige Sängerin mit einer beeindruckenden Bühnenpräsenz und der  ausdrucksstarken Stimme war und ist die perfekte Besetzung für die weibliche Hauptrolle. Wie ein Orkan fegte die sympathische Sopranistin über die Bühne und durch diese ausgesprochen lebendige Inszenierung von Simon Stone. Als Marietta verdreht sie dem jungen Witwer Paul den Kopf, verführt ihn und reizt ihn bis aufs Blut und rührt mit ganz leisen und zarten Tönen in der Rolle der Marie die Zuschauer zu Tränen. Ganz beachtlich neben den hervorragenden darstellerischen Fähigkeiten, der kraftvollen Stimme und einer nicht enden wollenden Energie, ist die beeindruckende Beweglichkeit von Marlis Petersen, die sie dem Zuschauer eins ums andere Mal demonstrierte. Auch die deutsche Opernsängerin weiß mit Authentizität und einer sehr ehrlichen Darstellung zu überzeugen. Die zwei Hauptdarsteller harmonieren perfekt bis ins kleinste Detail. Die wunderbare Chemie der beiden Sänger ist in jedem Augenblick zu spüren. In dieser Intensität und Dichte ist so eine Zusammenarbeit auf der Bühne nur selten zu erleben.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Zum Schluss seien auf jeden Fall noch der großartige Chor der Bayerische Staatsoper, sowie der Kinderchor der Bayerischen Staastsoper unter der Leitung Stellario Fagone erwähnt, die  jede der einzelnen Vorstellungen wunderbar abrundeten. Es ist jedes Mal wieder ein uneingeschränktes Vergnügen, diese großartigen Sänger zu hören.

Ebenfalls hervorragend besetzt waren in dieser Premierenserie die kleinen und kleineren Partien; allen voran Jennifer Johnston als Pauls Haushälterin Brigitta und Andrzej Filonczyk als sein bester Freund Frank. Das sind zwei großartige junge Sänger, von denen wir in der Zukunft noch eine Menge hören werden. Genauso wie von Mirjam Mesak, Manuel Günther, Corinna Scheurle und Dean Power.

Dass auch das Ensemble so hochwertig besetzt war, ist eine Luxussituation, die an der Bayerischen Staatsoper glücklicherweise mehr die Regel denn die Ausnahme ist.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Am Ender jeder einzelnen Vorstellung, beginnend mit der bereits sehr umjubelten Generalprobe am 14.November, gab es nicht enden wollenden Applaus, Bravorufe und Standing Ovations. Bis zu 30 Minuten lang mussten die Sänger und der Generalmusikdirektor immer wieder vor den Vorhang treten, um die Beifallsbekundungen des ausgesprochen begeisterten Münchner Publikums entgegen zu nehmen. Und selbstverständlich taten sie dieses mit großer Freude und tief gerührt. Manchmal wirkte es, als könnten die Künstler auf der Bühne den unbeschreiblichen Erfolg dieser Inszenierung noch nicht ganz glauben. Erwähnt sei außerdem,dass es niemals, auch nicht nach der Premiere, nur einen einzigen Buhruf gab.

So verließen die Zuschauer tief beeindruckt und bewegt auch die letzte Vorstellung am 11. Dezember 2019 in dem Wissen, etwas ganz Außergwöhnliches erlebt zu haben, das noch lange in den Erinnerungen bleiben wird.

So bleibt mir jetzt nur noch Zeit, Danke zu sagen an alle Künstler und Ihnen und meinen Lesern eine entspannte restliche Adventszeit zu wünschen, wundervolle Festtage im Kreise der Lieben und einen guten Rutsch  in ein fantastisches, erfolgreiches und wunderschönes Jahr 2020.

 

Wir hören uns wieder nach dem Start der Mein Wien Tour von Jonas Kaufmann am 7.Januar 2020 im Gasteig in München.

 

Alle Fotorechte in diesem Beitrag liegen bei Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper