Die Figuren von Paul und Marietta aus der Sicht von    Jonas  Kaufmann und Marlis Petersen

       Von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper

                 11. November 2019


Der Münchner Publkumsliebing und Ausnahmesänger Jonas Kaufmann, der am 18.November sein Rollendebüt als Paul an der Bayerischen Staatsoper gibt, äußerte sich am Sonntag bei der Premierenmatinee in aller Ausführlichkeit über die Figur und ihren psychischen und seelischen Zustand. Als ihn Nikolaus Bachler, Generalintendant der Bayerischen Staatsoper, zu Beginn des Gesprächs fragt, was Paul seiner Meinung nach sei, ein Träumer oder ein Psychopat?, kam die Antwort des sympathischen Sängers ohne große Umschweife: für ihn sei Paul wie ein Psychopath! Jonas Kaufmann ist zudem nicht der Ansicht, dass es sich bei dem Geschehen in der toten Stadt, das zu Ende des ersten Aktes beginnt und kurz vor Schluss der gesamten Oper endet, um einen Traum handelt. Auch die Beschreibung Albtraum ist ihm noch nicht drastisch genug. Viel zu real sei das, was der Protagonist dort erlebt. Paul ist so in seiner Wahnvorstellung gefangen, dass die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit  nach und nach immer mehr verschwimmen. Diese Fantasiewelt, in der Paul sich befindet und in die er sich immer tiefer hineinmanövriert, wird für ihn zur Realität. Eine Realität, die mit einem grausamen Mord endet, dem Mord an der Tänzerin Marietta. Das Erleben dieses hochgradig psychisch gestörten Menschen ist nur dann auch für den Zuschauer nachvollziehbar, mahnt Kaufmann, wenn er sich darauf einläßt und der Versuchung widersteht, die Bilder von Wahn und Realität getrennt voneinander zu betrachten. Nur so wird der Zuschauer am Ende der Oper, wenn er denn hoffentlich eine Karte für eine der Vorstellungen hat, eine Erleichterung oder gar Erlösung verspüren. Dass mit dem Erwachen aus dieser Wahnvorstellung und dem Rückkehr in der Realität nun plötzlich alles gelöst und gut sei, hält der Münchner Opernsänger nicht für besonders realistisch.

Eine weitere Frage von Herrn Bachler lautet: Welche Rolle spielt in Pauls psychischem Kostüm die Religion? Die Antwort von Jonas Kaufmann: Religiös im Sinne von fanatisch ja und von verrückt, nicht aber unter dem christlichen Aspekt. Er ist so fixiert, und alles was er sieht, ist so ein Dogma, so unglaublich intensiv. Das ist der Grund, warum er Marietta anschreit und schlägt, weil sie am Fenster steht und jemand bemerken könnte, dass er in seiner Heiligkeit in seiner Wohnung plötzlich so ein leichtes Mädchen hat. Und das, als gerade draußen diese Prozession vorüberzieht.(Dieses ist auch ein Teil von Pauls Wahnvorstellung,ein Bild seiner Fantasie). All dieses ganze Religöse schütze Paul nicht, es unterstütze eher noch seine Verrücktheit.

Es gibt noch ein weiteres Stichwort, Helfersyndrom, was der 50jährige Weltstar mit einbringt und dieses auch im selben Atemzug erläutert und darauf hinweist, dass dieses eine ganz ernsthafte Überlegung von ihm sei. Dass er, Paul, in seiner Verrücktheit eine solche Hilflosigkeit ausstrahle, ist möglicherweise das, was Marietta anziehen könnte.

Letztendlich verlässt sie rechtzeitig noch vor dem Einbruch seiner Wahnvorstellung die Wohnung, kehrt aber noch einmal zurück. Diese Rückkehr könnte in Paul nur zwei logische Konsequenzen auslösen, wenn er denn wirklich dieser Psychopath ist: entweder er läuft schreiend davon, was er letztendlich tut, oder er versucht, sie auch im wahren Leben umzubringen.

 

Auch wenn der symphatische Ausnahmesänger sich ausführlich zu Wort meldete, was zugegebenermaßen eine große Freude und Bereicherung war, durfte auch seine Bühnenpartnerin Marlis Petersen, die in dieser Neuproduktion sowohl die Rolle der Tänzerin Marietta als auch die von Pauls verstorbener Frau Marie übernimmt, ihre Gedanken äußern. Ihrer Interpretation nach denkt sie, dass Marietta den jungen Witwer erst einmal spannend findet, weil er anders ist und diese Andersartigkeit übt eine Faszination auf sie aus, der sie sich nicht entziehen kann. Die Tatsache, dass Paul nicht ganz normal ist, macht den Reiz aus, zu schauen, was hinter diesem Typus Mensch steckt.

Für Marietta, die als Tänzerin und Theaterfrau schon viele Rollen auf der Bühne verkörpert hat, ist die Sache zunächst wie ein Spiel.

Das Interessante für sie ist, herauszufinden, ob es jetzt wirklich eine Psychose ist oder  nur ein falsches Muster, das man doch noch in andere Bahnen lenken kann. In dem Moment, wenn sie realisiert, dass das, was  er macht, für sie schmerzhaft ist, wird sie wach und verlässt die Wohnung. Marietta kehrt aber am Ende des dritten Bildes oder Aktes noch einmal zurück, um den Schirm und die Rosen zu holen, die sie am Ende des ersten Bildes oder Aktes dort vergessen hat. Sie hat die Überlegung und den Wunsch, dass es möglicherweise doch eine Zukunft für sie und Paul geben könnte. Sie verlässt die Wohnung erneut, kehrt aber noch einmal um und hängt den Schirm wieder zurück. Dieser kleine Regieeinfall komme von ihr, erklärte mit einem Augenzwinkern die sympathische Opernsängerin.

Bezüglich der Religion sei übrigens noch hinzugefügt, dass diese im Gegensatz zu Paul für Marietta überhaupt keine Rolle spielt.

 

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Regiekonzept: Als Intendant Nikolaus Bachler die anwesende Regisseurin Maria-Magdalena

Kwaschik, sie setzt die Inszenierung aus Basel von Simon Stone in München um, fragt, wo denn diese Inszenierung spielt, war die Antwort ganz eindeutig: in der heutigen Zeit. Der Inhalt dieser Oper sei einer der wenigen, die man in jeder Zeit spielen lassen könne. Die Geschichte und Thematik sei so nah an uns allen dran wie in keinem anderen Werk. Es geht einfach um normale Menschen, die sich in einer bestimmten Lebensphase begegnen. Eine Situation, die uns letztendlich allen passieren kann.

Das Bühnenbild des Australiers Raph Myers ist eine sehr komplexe Konstruktion, eine Drehbühne, die in München auf die deutlich größeren Dimensionen angepasst werden musste. Es handelt sich um die Räume von Pauls Appartement, die während der Vorstellung hin-und-herfahren, sich verschieben, mit der Zeit immer weiter auseinanderdriften und so das äußere Zeichen seines ins Wanken geratenes Seelenleben sind und seiner inneren Zerrissenheit. Dieses spezielle Bühnenbild spiegelt also den gesamten seelischen Prozess des Witwers wider und seine psychische Labilität sowie die Konfrontation mit seinen großen Schuldgefühlen.

Neben den ernormen stimmlichen Herausforderungen für die Protagonisten, insbesondere für Jonas Kaufmann und Marlis Petersen, kommt also auch noch diese sich immer wieder bewegende und komplexe Bühnenkonstruktion hinzu, in der sich der gesamte Abend abspielt. Man darf also höchst gespannt sein, welche Überraschungen wir erleben, wenn sich am 18. November der Vorhang an der Bayerischen Staatsoper für die erste Premiere der Saison hebt. Eines ist aber sicher: diese Neuproduktion am Münchner Nationaltheater dürfte eines der  am meisten mit Spannung erwarteten Ereignisse in der Opernwelt diesen Jahres sein. So sind alle sechs Vorstellungen der toten Stadt restlos ausverkauft. Die Premiere am 18. November wird aber live auf BR Klassik übertragen.

 

 

 

Fotorechte in diesem Beitrag sind wie folgt: 

 

1. Gregor Hohenberg / Sony Classical

2. Patrick Opierzynski

3.Yiorgos Mavropoulos