Der Seele in den Abgrund blicken

Verdis I Masnadieri an der Bayerischen Staatsoper


                                  25. März 2020

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Nach meinem Beitrag über die zwei Vorstellungen des Fidelio in London habe ich nun noch die große Freude, über meine Eindrücke zur Neuproduktion von Verdis I Masnadieri am 8. März an der Bayerischen Staatsoper zu berichten. Geplant war dieser Beitrag etwas später, aber wie überall hat das verflixte Coronavirus auch hier einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich bin also überglücklich, dass ich diese hochkarätig besetzte Premiere Anfang März in München miterleben durfte. So werde ich nun vom Abend des 8. März berichten und ehre damit auch ein wenig die Sänger, das Orchester, den Chor, den Regisseur und sein gesamtes Team, den Dirigenten und alle anderen an der Produktion Beteiligten. Sie alle hatten nur dieses eine Mal die Gelegenheit, ihre Kust und ihr Können zu zeigen und das Publikum

mitzunehmen auf eine spannende musikalische Reise.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


(C) Youtube / Bayerische Staatsoper


In meiner Berichterstattung gehe ich jetzt bezüglich der  Inszenierung  nicht mehr ins Detail . Wer sich nochmals informieren möchte über Hintergründe und die Handlung dieser Oper und auch im Speziellen am Münchner Nationaltheater, der kann zum einen meine zwei Einführungsbeiträge lesen, die hier unter Werkeinführungen zu finden sind. Zum anderen vermitteln die offiziellen Bühnenfotos, die hier meinen Beitrag unterstreichen, einen guten visuellen Eindruck von dem Geschehen auf der Bühne. Eine dritte Möglichkeit ist es, sich den Trailer der Bayerischen Staatsoper anzuschauen. Das Videomagazin kam bedauerlicherweise nicht mehr zustande oder wurde aufgrund der Absage der nachfolgenden Vorstellungen nicht mehr eingestellt. Zusammengenommen sollte jeder wissen, wovon ich schreibe und meinen Worten problemlos folgen können.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Wie schon mehrfach erwähnt, ist die Musik von I Masnadieri unglaublich kraftvoll, leidenschaftlich und intensiv. Und so leidenschaftlich die Musik  sind  auch die Figuren in dieser finsteren Geschichte.

Es sind Charaktere mit starken Gefühlen, die versuchen, unverarbeitete Konflikte zu verarbeiten oder zu  bewältigen. Ein Unterfangen,das  ganz und gar zum Scheitern verurteilt ist. Um die Figuren in Verdis I Masnadieri authentisch auf der Bühne zu verkörpern, braucht es nicht nur herausragende Sänger, sondern auch ausdrucksstarke Darsteller. In München gab es das große Glück, dass jede noch so kleine Rolle excellent und typgrecht besetzt war. Und auch der hervorragende und leistungsstarke Chor der Bayerischen Staatsoper trug zum großen Erfolg an diesem Abend bei und unterstrich immer wieder stimmgewaltig die unterschiedlichen Szenarien.

Der junge italienische Dirigent Michele Mariotti, der bereits im letzten Jahr die Leitung an der Mailänder Scala für dieses Werk übernommen hatte, zeigte, wie intensiv er sich mit diesem Werk befasst hat und wie viele Details er herausgearbeitet hat. Michele Mariotti war ein zuverlässiger Begleiter durch den gesamten Abend, nicht nur für das immer wieder ausgezeichnete Bayerische Staatsorchester, sondern auch für den Chor und die Solisten des Abends.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Bevor ich endlich zu den vier Hauptdarstellern des Abends komme, würde ich gerne noch die drei jungen Schauspieler erwähnen, die in der gesamten Inszenierung die drei Figuren der Amalia(Diana Damrau),des C arlo Moor(Charles Castronovo) und des Francesco(Igor Golovatenko) als Teenager doppelten und so noch einen tieferen Einblick in deren Seelen ermöglichten. Zudem konnten die Vergangenheit und die somit entstandenen Konflikte noch mehr verdeutlicht werden. Konflikte, die alle Figuren am Ende zu Grunde richten, den Verstand kosten und sogar das Leben.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Kommen wir nun zu den vier Hauptdarstellern des Abends: Mika Kares in der Partie des Graf Massimiliano, Igor Golovatenko  als Francesco, Charles Castronovo als Carlo und Diana Damrau als Amalia. Eine Besonderheit: drei der vier Hauptdarsteller gaben in dieser Neuinszenierung ihr Rollendebüt,nämlich Igor Golovatenko, Charles Castronovo und Diana Damrau.

Mika Kares, der in München schon häufiger auf der Bühne zu erleben war, konnte durch eine besonders warme Färbung seiner Stimme überzeugen, über Kraft nicht nur in den tiefen Lagen und einer großen Ausdruckskraft in der Gestaltung. Darstellerisch war für den finnischen Opernsänger, der eine starke

Bühnenpräsenz hat, in dieser Neuinszenierung insgesamt weniger zu tun. Von den vier Hauptpartien ist die des Graf Massimiliano zudem am kleinsten.

Igor Golovatenko ist für mich die Entdeckung dieser Premierenserie, auch wenn mir der Name vorher nicht unbekannt war. Die Stimme ist kraftvoll, ausdrucksstark und überzeugt sowohl in den tieferen wie auch in höheren Lagen. Sie entlädt sich explosionsartig im Forte und fesselt in den Pianostellen, die besonders eindringlich wirken. Die Darstellung des Francesco zeigt einen Menschen, der von Hass und Neid zerfressen ist und sich verantwortlich macht für den Tod seiner Mutter, die bei seiner Geburt starb. Die zahlreichen negativen Gefühle, die sich in ihm angesammelt haben, entladen sich nun und

zerstören alles um ihn herum.

Der russische Bariton wusste all das  authentisch zu vermitteln. Der sehr gerne von Jonas Kaufmann zitierte Begriff der kontrollierten Ekstase beschreibt ziemlich genau die Art der Darstellung von

Igor Golovatenko. Einer der Höhepunkte war sicher zu Beginn des vierten Aktes die Vision  Francescos vom jüngsten Gericht. Wenn man einen solch exzellenten Sängerdarsteller zur Verfügung hat, dann braucht es weder ein aufwendiges Bühnenbild, Lichteffekte oder gar Special Effects.

(C) Youtube / Bayerische Staatsoper


Die einzige weibliche Rolle in Verdis I Masnadieri übernahm in dieser Produktion die deutsche Sopranistin Diana Damrau, die längere Zeit nicht an der Bayerischen Staatsoper zu erleben war. Nun gab es also wieder das Glück, die aus Günzburg stammende Sopranistin auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters zu erleben. Gesanglich war die Partie der Amalia wie zu erwarten keine Herausforderung für die deutsche Opernsängerin. Strahlende Höhen und zarteste Piani in Kombination mit Ausdruckskraft und einer detailgenauen Gestaltung unterstrichen das Können von Diana Damrau und zeigten, warum sie zu den erfolgreichsten Künstlern ihres Fachs zählt. Darstellerisch war eine junge Frau zu erleben, die zwischen allen Stühlen sitzt und verzweifelt versucht, die familiären Konflikte zu lösen. Am Ende opfert sie ihr Leben, weil es für sie kein glückliches Ende geben kann. Zu groß wäre die Schande für Sie und zu groß die Entbehrungen. Sensibel konnte die Opernsängern die große Not ihrer Figur der Amalia dem Publikum näher bringen.

Abschließend möchte ich noch über die starke Leistung des vierten Hauptdarstellers Charles Castronovo sprechen, der den Charakter des Carlo Moor verkörperte. Die Vermutung, dass es sich für den amerikanischen Tenor mit südamerikanischen und sizilianischen Wurzeln um eine Traumrolle handelt, hat sich am Abend der Premiere bereits bestätigt. Auf der anschließenden Premierenfeier bestätigte der Opernsänger selbst, wie wohl er sich mit dieser Partie fühle. Und genau das war von Beginn an zu spüren. Die Stimme strömte, mühelos nahm der Opernsänger spielend jede Höhe und die Mittellage, von der gerne gesprochen wird, hatte ein warmes und angenehmes Timbre. Ausdrucksstark, kraftvoll aber auch leise, zart und zerbrechlich, so war die Stimme des 44jährigen zu vernehmen. Auch in der szenischen Darstellung konnte Charles Castronovo auf ganzer Linie überzeugen. Eindringlich brachte er den Zuschauern im Saal die Verzweiflung von Carlo näher, seine Auswegslosigkeit, seine Reue und seine Einsamkeit. Auch er ist nicht in der Lage ,die vorhandenen Konflikte in der Familie zu lösen, die am Ende alles zerstören und ihn die Liebe zu Amalia kosten werden.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Am Ende gab es eine Menge verdienten Applaus für das gesamte Ensemble und einige Buhrufe für das Regieteam um Johannes Erath. Alle an der Produktion Beteiligten traten immer wieder vor den Vorhang

und nahmen dankbar, glücklich und vielleicht auch ein wenig erleichtert den Jubel und die Begeisterung des Publikums entgegen. Vollkommen zu Recht! Die Leistung an dem Abend dieser Premiere war von der ersten bis zur letzten Minute ein musikalischer Genuss auf höchstem Niveau.

Bei der anschließenden Premierenfeier im Rennertsaal wurde dann der Erfolg stilvoll gefeiert. Auf Kosten des Hauses gab es Sekt, Wein und antialkoholische Getränke und gegen eine kleine Gebühr auch kleine Snacks wie belegte Brötchen. Mitarbeiter, Gäste und alle Beteiligten der Neuproduktion verbrachten entspannte Stunden miteinander und ließen die Eindrücke des Abends nachwirken.

Generalintendant Nikolaus Bachler ehrte in einer kleinen Ansprache die herrausragende Leistung des gesamten Ensembles. Es gab die Gelegenheit, mit den Sängern ins Gespräch zu kommen, gemeinsame Fotos zu machen und sich das eine oder andere Autogramm als Erinnerung geben zu lassen.

So klang ein wunderschöner Abend in der Oper mit Freunden und einem Gläschen Sekt aus.

Ich bin dann gleich am nächsten Morgen nach London geflogen. Nur wenige Tage später kam der Shut Down in Bayern und damit auch die Schließung des Nationaltheaters und die Absage aller Vorstellungen bis zum 19. April.  Betroffen davon waren auch alle nachfolgenden Termine von I Masnadieri.

Im Sommer gibt es theoretisch noch zwei Chancen, diese Neuproduktion ein weiteres Mal im Münchner Nationaltheater zu erleben.nämlich im Rahmen der Opernfestspiele ,die Ende Juni in Bayerns Hauptstadt beginnen sollen. Näheres dazu ist auf der Website der Bayerischen Staatsoper zu finden.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper