Das Must-have 2022 - "Turandot" konzertant in Rom!

Die lang erwarteten Rollendebüts zweier Weltstars!


     Von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper

                     14. März 2022

(C) Musacchio, Ianiello & Pasqualini / Accademia di Santa Cecilia


Das besondere I-Tüpfelchen für einen gelungenen Abend - Sir Antonio Pappano und sein Orchestra e Coro dell' Accademia Nazionale di Santa Cecilia

 

Manch einer sprach im Voraus vom Opernereignis des Jahres, bei dem man unbedingt dabei sein musste, um mitreden zu können: die Aufführung der konzertanten "Turandot" im großen Saal des Auditoriums Parco della Musica in Rom, dem Sitz des Orchestra e Coro dell` Accademia Nazionale di Santa Cecilia, deren musikalischer Direktor kein Geringerer ist als Sir Antonio Pappano. Zwei Wochen vor der Vorstellung am 12. März liefen in Rom die Aufnahmen für eine Gesamtaufnahme von Puccinis letzter Oper und seinem letztendlich unvollendeten Werk. Das genaue Erscheinungsdatum ist noch nicht bekannt, die Veröffentlichung soll aber erst im nächsten Jahr sein. Die hochkarätige Besetzung der CD-Gesamtaufnahme entspricht der der konzertanten Aufführung. Zwei lang erwartete Debüts erhöhten die Spannung dieses Abends unter der musikalischen Leitung von Antonio Pappano. Jonas Kaufmann sang zum ersten Mal die Partie des Calaf, Sondra Radvanovsky war das erste Mal in der Titelpartie zu erleben. Außerdem mit dabei waren Ermonela Jaho als Liù und Michele Pertusi als Timur sowie Gregory Bonfatti als Pang. Für eine sehr erfreuliche Überraschung sorgten zwei weitere junge Debütanten: Mattia Olivieri als Ping und Siyabonga Maqungo als Pong. Der großartige und stimmgewaltige Chor der Accademia di Santa Cecilia trug einen erheblichen Teil zum Erfolg und einer fesselnden Darbietung bei. Das Orchester folgte seinem Dirigenten mit großer Aufmerksamkeit und zauberte Dramatik, Gänsehaut pur und einen wunderbaren Klangteppich, auf dem sich die Sänger sicher bewegen und wohlfühlen konnten. Sir Antonio Pappano hatte in jeder Sekunde seine Musiker im Blick und leitete sie sicher durch Puccinis anspruchsvolle Partitur. Und auch die Solisten und der Chor konnten sicher sein, niemals den Kontakt zum Dirigenten zu verlieren. Dass der Ausnahmemusiker in Rom von den Klassik-Musikfans geliebt und verehrt wird, war in jeder Sekunde zu spüren.

(C) Musacchio, Ianiello & Pasqualini / Accademia di Santa Cecilia


     Konzertant mit einigen dramatischen Effekten

Bevor ich zu den vier Hauptdarstellern komme, noch ein paar Worte zur Gestaltung des Abends. Diese einzige Vorstellung in der Besetzung der Gesamtaufnahme war zwar als konzertant ausgeschrieben, aber bei solchen Sängerdarstellern funktioniert das natürlich nicht wirklich. Gesten und Mimik waren - vor allem bei den zwei weiblichen Protagonistinnen - höchst dramatisch und unterstützten die gesangliche Interpretation intensiv. Der Chor war sehr geschickt platziert, nämlich in einem Halbrund oberhalb des Orchesters und der Solisten. Einzelne kleine Solostellen wurde ebensfalls von der Empore aus gesungen. Und nicht zuletzt gab es den ersten sehr effektvollen, Auftritt der amerikanischen Sopranistin, zunächst ohne ihre Stimme zu erheben und von den Scheinwerfern in ein geheimnisvolles Licht getaucht, ebenfalls von der Empore aus. Und auch im vorderen Teil der Bühne wurden die unterschiedlichen Stimmungen der Protagonisten geschickt durch eine sanfte Lichtgestaltung hervorgehoben. So war es am Ende keine rein konzertante Aufführung in der Sala Santa Cecilia. Auch kleine und einfache Effekte können große Wirkung erzielen und die Musik in ihrer Kraft entsprechend noch weiter verstärken.

(C) Muscacchio, Ianiello & Pasqualini / Accademia di Santa Cecilia


       Sondra Radvanovsky - Turandot

Sondra Radvanovsky war die eine Debütantin am 12. März im Auditorium Parco della Musica. Sie sang in Rom das erste Mal die Turandot, und es könnte eine Paraderolle für die amerikanische Opernsängerin werden. Majestätisch, kühl, unnachgiebig - so präsentierte die Interpretin ihr Alter Ego. Und am Ende wurde bei der Prinzessin sogar eine zarte menschliche Regung spürbar, nachdem Calaf ihr sein Geheimnis offenbart hatte. Auf der Bühne war es der Kuss, den ihr der unbekannte Prinz, verkörpert von Jonas Kaufmann, zart auf die Lippe drückte, der ihr Herz langsam zum Schmelzen brachte. Stimmlich meisterte Sondra Radvanovsky die anspruchsvolle Partie der Turandot, wie zu erwarten war, problemlos. Ihre kraftvolle und ausdrucksstarke Stimme nahm mit großer Leichtigkeit alle Höhen und Tiefen. Das Vibrato in der Stimme könnte manchmal ein wenig milder sein, das ist aber vielleicht auch einfach mein persönliches Empfinden. Ihre dramatischen Auftritte sowohl auf der Empore aber auch später auf der Bühne wurden unterstrichen durch gezielt eingesetzte Gesten und Mimik und eine dunkelgrüne schulterfreie Robe, die ihre majestätische Darstellung der Turandot noch intensiv verstärkte. Dass Sondra Radvanovsky eine Sängerdarstellerin ist, hat sie an diesem Abend wieder einmal bestätigt. Diese Opernsängerin ist für die Bühne geboren.

(C) Muscacchino, Ianiello & Pasqualini


                Ermonela Jaho - Liù

Die zweite weibliche Hauptpartie in Puccinis letzter Oper, die der Liù, war mit Ermonela Jaho besetzt. Sie verkörperte ihre Figur nicht zum ersten Mal und wirkte daher schon sehr vertraut mit dem Charakter der Sklavin, die heimlich in den Prinzen Calaf, Sohn des gestürzten Tatarenkönig Timur, verliebt ist und sich das Leben nimmt, um ihn zu beschützen. Ermonela Jaho ist eine Opernsängerin, Künstlerin und Darstellerin von unglaublich großer Leidenschaft. Sie lebt die Musik, singt und spielt mit so viel Herzblut, dass es dem Zuschauer fast immer die Tränen in die Augen treibt. Und manches Mal laufen der albanischen Sopranistin selber die Tränen über die Wangen, so intensiv taucht sie ein in die Rolle, die sie Verkörpert. Auch in dieser konzertanten Aufführung der Turandot konnte man spüren, dass sie mit jeder Faser ihres Körpers in der Musik von Puccini verankert war. Mehr noch als ihre intensive Bühnendarstellung vermittelt ihre wunderschöne und ausdruckstarke Stimme die gesamte Bandbreite der menschlichen Gefühle. Genauso war auch ihre Interpretation der Liù im Auditorium Parco della Musica. Zart, zerbrechlich und schmerzvoll klangen die Piani, aber auch die kraftvollen und dramatischen Ausbrüche waren beeindruckend und vermittelten Liùs Kampf um ihre große Liebe und ihre ungeheure Verzweiflung, als sie feststellen muss, dass sie Calaf verloren hat und ihr als letzter Ausweg nur der Weg in den Freitod bleibt. Auch Ermonela Jaho ist niemand, der bei einer konzertanten Version nur still auf ihrem Platz verharrt. Leidenschaftliche Gesten und Blicke unterlegen ihren Gesang in jeder Sekunde. Ein Platz außerhalb der Bühne ist auch bei ihr nicht denkbar. Ermonela Jaho ist im Mai/Juni bei uns in München an der Bayerischen Staatsoper in einer ihrer Paraderollen von Giacomo Puccini zu erleben, als Madama Butterfly. An ihrer Seite gibt dann der amerikanische Tenor mit den italienisch-südamerikanischen Wurzeln, Charles Castronovo, sein Rollendebüt als Pinkerton.

(C) Muscacchino, Ianiello & Pasqualini


             Michele Pertusi - Timur

Michele Pertusi als Prinz Calafs Vater und gestürzter Tartarenkönig ergänzte das Quartett der Hauptdarsteller Sondra Radvanovsky, Ermonela Jaho und Jonas Kaufmann perfekt mit seinem schönen, warmen und angenehmen Bass. Seine ruhige Art und die authentische Darstellung machen ihn zu einem glaubwürdigen Interpreten, der sich viele Gedanken über seine Rolle gemacht hat. Michele Pertusi ist ein Künstler mit großer Bühnenerfahrung, der sein Debüt bereits mit 19 Jahren in Pisa als Graf von Monterone in Guiseppe Verdis Rigoletto gab. Der italienische Bass hat in allen großen Häusern gesungen, mit zahlreichen namenhaften Dirigenten zusammengearbeitet und verfügt über ein sehr beachtliches Repertoire an unterschiedlichsten Rollen. Michele Pertusi für die CD-Gesamtaufnahme gewinnen zu können, war sicher ein großes Glück und ein Gewinn. Ihm zuzuhören bedeutet Freude und Musikgenuss auf höchstem Niveau. Und ebenso wie bei Sondra Radvanovsky und Ermonela Jaho, wenn auch weniger ausgeprägt, spürt man bei ihm, dass er für die Musik und die Bühne brennt und dafür einfach geboren ist. Seine Figur ist der ruhende Pol in der dramatischen Geschichte um Liebe, Tod und Macht.

(C) Muscacchino, Ianiello & Pasqualini


             Jonas Kaufmann - Calaf

 Einer fehlt noch in der Garde der Opernstars und prominenten Debütanten, der deutsche Weltstar, Lieblingstenorissimo und Neu-Österreicher Jonas Kaufmann. Er sang in Rom zum ersten Mal die komplette Partie des Prinzen Calaf, den er, so besagen es Gerüchte, in der kommenden Saison an der Wiener Staatsoper in einer neuen Produktion dann auch szenisch verkörpern soll. Man darf gespannt sein, auch darauf, in welcher Zusammensetzung dieses szenische Rollendebüt vonstatten gehen wird. Im Auditorium Parco della Musica erklang nun also nicht nur die weltberühmte und prestigeträchtige Arie "Nessun dorma", sondern die vollständige Oper von Giacomo Puccini. Gespannt wartete man auf die ersten Töne von Jonas Kaufmann, der bekanntermaßen im Herzen Italiener ist und bereits als Kind zahlreiche wundervolle Urlaube mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester da verbracht hat. Der Ausnahmekünstler spricht perfekt Italienisch und sieht auch sonst eher wie ein Südländer denn ein Deutscher oder Österreicher aus. Dementsprechend wird der deutsche Weltstar auch in seinem Sehnsuchtsland sehr verehrt. Aber zurück zum Abend. In der ersten Hälfte wirkte die Stimme noch nicht ganz frei, und es brauchte regelmäßige Unterstützung von Wasser, Halsbonbons und Gummibärchen (!?) um die trockene Luft in der Konzerthalle ein wenig auszugleichen und eventuell auch die Strapazen der vergangenen zwei Wochen, in denen die Aufnahme stattgefunden hat. Im Gegensatz zu seinen Kolleginnen/Kollegen wirkte Jonas Kaufmann manchmal etwas steif, und eine Interaktion mit den anderen Sängern war kaum auszumachen. Nach der Pause änderte sich das, der gebürtige Münchner wirkte deutlich entspannter, die Stimme kraftvoller und so ausdrucksstark, wie man sie kennt. Die Piani waren wunderbar leicht und zart, und die Diktion klar verständlich, wie immer. Die Bewegungen, Gestik und Mimik blieben zwar weiter zurückhaltend, aber wurden zumindest wieder sichtbar und spürbar. So gab es natürlich auch für den zweiten Rollendebütanten den verdienten Applaus des italienischen Publikums, unter das sich selbstverständlich auch der eine oder andere Fan aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich oder Luxemburg gemischt hatte. Einer der schönsten und unvergesslichen musikalischen Momente an diesem Abend war nicht, wie vielleicht vermutet, "Nessun dorma". Nein, es war die wunderbar melancholische Arie "Non piangere, Liù".  Trotz kleinerer Anlaufschwierigkeiten darf man zu einem gelungenen Rollendebüt gratulieren.

(C) Muscacchino, Ianiello & Pasqualini


                       Resümee

So endete nach drei Stunden eine umjubelte konzertante Vorstellung von Puccinis letzter Oper in hochkarätiger Besetzung unter der Leitung von Sir Antonio Pappano und seiner Accademia Nazionale di Santa Cecilia im Auditorium Parco della Musica. Auch wenn es für mich Puccini-Opern gibt, die ich weitaus mehr bevorzuge, wie Tosca, Manon Lescaut, La Bohème, Il Trittico oder La Fanciulla del West, so gibt es sicherlich einige Gänsehautmomente, insbesondere, wenn der Chor seine Auftritte hat oder bei den Begegnungen zwischen Calaf und Turandot. Die von Ermonela Jaho gesungenen Arien gehörten sicher zu den berührensten Momenten, genau wie das "Non piangere, Liù", gesungen von Jonas Kaufmann oder Liùs Abschiedsszene. Dem Orchester zu lauschen und die Kraft und Energie dieser mitreißenden und mit Emotionen aufgeladenen Musik zu spüren, war ein Geschenk und ein großes Glück. Auf die CD-Gesamtaufnahme im nächsten Jahr darf man sich jetzt schon sehr freuen.

(C) Muscacchino, Ianiello & Pasqualini


    Und wenn der Sorgen Last die Seele drückt,

        erhebt Musik sie wieder und entzückt.

 

                      (Alexander Pope)