Wenn eine ganze Welt still steht....

                                                         Die Musik drückt das aus, was nicht

                                                         gesagt werden kann und worüber es

                                                                unmöglich ist, zu schweigen

                                                                                   (Victor Hugo)

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Es ist gerade ein paar Tage her, da bin ich zurückgekehrt von London nach München und plötzlich ist alles anders. Während letzte Woche im United Kingdom noch alles so schien, als würde es das Coronavirus/ COVID-19, das gerade unsere ganze Welt in Atem hält und zum Stillstand zwingt, nicht geben . Und dann kam auch wie in ganz Europa in Großbritannien der Shut Down. Alle Theater, Opernhäuser, Kinos, Museen, Universitäten, Schulen, Kindertagesstätten, Restaurants uvm. schließen ihre Pforten. Die Ausmaße im Alltag sind gewaltig, aber notwendig, um weitere Infektionen so gut wie möglich zu unterbinden. Die Menschen sind verunsichert und machen sich Sorgen um ihre Gesundheit und um die ihrer Familien Sie bangen um ihre Existenz, ihre Arbeitsplätze. Sie fragen sich, ob es auf Dauer genug Lebensmittel in den Supermärkten geben wird. Jeden Tag gibt es neue Informationen, darunter bedauerlichwerweise auch viele sogenannte Fake News, vor allem in den sozialen Netzwerken. Die Bundesregierung und die einzelnen Bundesländer greifen wie auch die Nachbarländer in Europa zu zum Teil drastischen Mitteln, um die weitere Ausbreitung des Virus, kurz COVID-19, zu verhindern. Dieses ist die schwerste Krise, die Europa seit Ende des zweiten Weltkrieges jemals erlebt hat.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Bilder wie dieses aus dem Zuschauerrraum der Bayerischen Staatsoper, einem meiner liebsten Orte in meiner jetzigen Heimatstadt

München, wird es noch viele Wochen, möglicherweise auch Monate nicht geben. Das macht uns Zuschauer und Opernfans traurig, die wir dort so viele wunderbare Stunden verbracht haben. Für die Sänger, Musiker, Regisseure, Dirigenten und alle Mitarbeiter, die jeden Abend dafür sorgen, dass sich der Vorhang hebt, ist es aber eine zumindestens genauso traurige Zeit; und für die freischaffenden Künstler kann der Shut Down auch eine existentielle Krise bedeuten. Das betrifft selbstverständlich auch vor allem die kleineren und privat geführten Theater oder Opernhäuser, die ohne große Subventionen vom Staat auskommen müssen. Selbstverständlich sind ebenso alle anderen kleinen und mittelständischen Betriebe mit einbezogen und auch jeder Mensch in der Selbständigkeit steht möglicherweise vor demAus. Auch wenn der Staat und die verschiedenen Bundesländer ihre Hilfe und finanzielle Unterstützung zugesagt haben, ist jetzt noch nicht vorauszusehen ,wer am Ende der Gewinner und wer der Verlierer ist. Die Hoffnung aber sollte niemand verlieren. Am Ende gibt es eine Lösung, auch wenn sie vielleicht nicht perfekt ist.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Jetzt ist nicht die Zeit zu feiern, hieß es vor einigen Tagen aus Berlin. Nein, Zeit zum Feiern ist jetzt wahrlich nicht, aber auch keine Zeit für Panik und Hamsterkäufe, weil angeblich die Lebensmittel knapp werden. Es ist aber notwendig, sich an die vorgebenen Regeln und Maßnahmen zu halten und sich gemeinsam gegen einen unsichtbaren Feind zu Wehr zu setzen. Diese Zeit ist extrem schwierig und sie löst Ängste und Unsicherheit aus. Wir können  aber auch versuchen,sie positiv für uns zu nutzen. Wir können Zeit mit der Familie verbringen, wir können Dinge tun, die wir immer schon tun wollten,zu denen wir aber vor lauter Stress und Planung nicht  gekommen sind. Ein bestimmtes Buch lesen, einen Film anschauen, eine neue CD anhören, endlich einmal meditieren, wieder Yoga praktizieren, im Garten arbeiten oder für den eigenen Blog schreiben. Die Liste könnte man beliebig fortführen....Sehen wir diese Krise auch als Chance für ein Umdenken, auch ein persönliches, an und setzen wir die negative Energie ein, um positive Dinge zu bewirken. Werden wir uns wieder unserer Werte und Ideale bewusst und was wirklich im Leben zählt. Werfen wir alles Überflüssige von Bord, wenden wir den Blick nach innen. Gerade jetzt wird klar: Gesundheit ist unser höchstes Gut, und Familie und Freunde sind zumindestens für mich das Allerwichtigste im Leben. Welche Strategien jedem einzelnen helfen, diese uns für alle herausfordernde Zeit so gut wie möglich zu überstehen, das gilt es im Einzelfall zu entdecken. Für mich persönlich schöpfe ich die meiste Kraft, neben den Gesprächen mit Familie, Freunden und Kollegen, aus der Musik und vor allem der Oper. Aber auch die klassische Musik als Überbegriff ist da mit einbezogen:Bach, Händel, Beethoven,

Mozart, Haydn, Mendelssohn, Schubert, Schumann....Die Musik macht mein Herz leicht, sie brührt meine Seele, bewegt mich, gibt mir Kraft und Energie. Sie ist meine Oase der Ruhe im Sturm des Alltags.

(C) Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper


Und so gibt es einen Hoffnungsschimmer in dieser dunklen Zeit. Denn auch, wenn sich die nächsten Wochen  weiterhin kein Vorhang hebt, kein Zuschauer die Oper, Konzerthäuser und Theater betritt, um sich dem unglaublichem Rausch der Musik hinzugeben und die Existenz vieler Menschen auch in dieser Branche stark gefährdet ist, erklingt er doch, der Zauber der Musik. Zahlreiche Opernhäuser in Europa bieten genau wie die MET in New York ein Streaming unterschiedlicher Opernaufführungen über das Internet an. Die Aufführungen sind zumeist Aufzeichnungen, Video-on-demand aus den letzten Jahren. Darunter die Wiener Staatsoper, Die Staatsoper unter den Linden in Berlin, die Bayerische Staatsoper oder die Opera National de Paris.Auch das Teatro Real in Madrid und das Teatre del Liceu in Barcelona haben eine Streaming Initiative ins Leben gerufen.Die  Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker steht 30 Tage kostenlos zur Verfügung. Auch die Opernhäuser bieten ihre Streamingdienste kostenfrei an. Und das Konzerthaus in Berlin macht den Musikfreunden in der ganzen Welt ein großartiges Geschenk. Am heutigen Abend(18.3.) um 19:00 gibt live ein Konzert zu sehen im Fernsehen auf RBB, im Radio und im Internet. U.a. treten dort Olga Peretyatko, Lang Lang, Daniel Hope und Avi Avital kostenlos auf.

Die Staatsoper unter den Linden übetrug am Montag(12.3.20) die Carmen live vor leerem Saal im Internet. 160.000 Zuschauer folgten dem Aufruf und sahen die Vorstellung mit Anita Rachvelishvili in der Titelpartie. Ich war in London ebenfalls am Bildschirm mit dabei.

Über die Bayerische Staatsoper gibt es sowohl Aufzeichnungen zu sehen wie die Inszenierung von Il Trovatore aus dem Jahre 2013 mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros als auch Livekonzerte wie am Montagabend u.a. mit Christian Gerhaher und Christina Landshammer(Schumanns Liederalbum für die Jugend) und Igor Levit, der  Beethovens Diabelli-Variationen op 120 interpretierte.

Aufgrund des großen Erfolgs beim ersten Konzert via Livestream folgen nicht nur weitere Aufzeichnungen als Video-on demand, sondern auch weitere Live-Konzerte über StaatsopernTV.  Auch die stattgefundenen Akademiekonzerte sind nach Ausstrahlung noch

für 14 Tage einzusehen. Am 23. März wird die Reihe der Montagskonzerte fortgesetzt.

Aus den Presseinformationen der Bayerischen Staatsoper.

Live und kostenlos: Montagskonzerte ab 23. März

Das Programm der Montagskonzerte wird sich aus Liedgesang, Solo-Instrumentalisten sowie kammermusikalischen und tänzerischen Darbietungen zusammensetzen. Mit dabei sind über die kommenden Montage verteilt Musikerinnen und Musiker

des Bayerischen Staatsorchesters, Tänzerinnen und Tänzer des Bayerischen Staatsballets sowie der Staatsoper eng verbundene

Künstlerinnen und Künstler wie Geigerin Julia Fischer, Sopranistin Hanna -Elisabeth Müller, Bariton Christian Gerhaher, Pianist

Gerold Huber, Tenor Jonas Kaufmann, Bariton Michael Nagy und Bass Tareq Nazmi. Das detaillierte Programm sowie die Dauer

eines Video-on Demand wird zu einem späteren Zeitpunkt auf staatsoper.de/stream bekannt gegeben.

Das erste dieser gestreamten Konzerte hat am 16. März unter Beteilung von Sopranistin Christina Landshammer und Bariton

Christian Gerhaher, begleitet am Klavier von Gerold Huber, dem Schumann Quartett München, OPERcussion,sowie wie Pianist Igor

Levit stattgefunden. Insgesamt waren per Live-Stream knapp 50.000 Menschen mit dabei. Ein Video-on Demand kann ab sofort

für die Dauer von 14 Tagen auf staatsoper.de/stream angeschaut werden.

Es gibt aber auch sozusagen private Aktionen einiger Künstler, die ebnfalls unentgeltlich und live Konzerte geben. So auch Igor Levit. Er lädt jeden Abend um 19:00  auf seinem Twitter Account zu einem Privatkonzert ein ,das er mit wenig Equipment in alle Welt streamt. Zwischen 25 und 55 Minuten dauert so ein musikalischer Hochgenuss mit einem der wunderbarsten und weltbesten Pianisten. Zu

Beginn gibt es immer einige Begrüßungsworte des russischen Künstlers und eine kleine Einführung in das an dem Tag gespielte Klavierstück. Und die Menschen in der ganzen Welt folgen ihm und drücken glücklich und gerührt ihre tiefe Dankbarkeit aus. Ich kann jedem Menschen nur ans Herz legen, sich die Zeit zu nehmen und dem Spiel des 33jährigen Ausnahmekünstlers zu lauschen. Für mich persönlich ist diese Zeit, in der ich meine Augen schließe und mich ganz der Musik hingebe, fast wie eine Meditation. Daher stelle ich hier abschließend noch Beethovens Mondscheinsonate ein, die Igor Levit beim Opus Klassik 2019 gespielt hat und damit und mit seinen Worten im Anschluss die Zuschauer im Saal des Konzerthaues in Berlin tief bewegt hat.

Zwei wunderbare Opernsänger muss ich noch erwähnen, die ebenfalls ihren Fans und den Zuschauern in der ganzen Welt ein großes Geschenk gemacht haben, Joyce DiDonato und Piotr Beczala. Beide Künstler hätten eigentlich am 17. März das erste Mal zusammen an der MET in New York die Wiederaufnahme von Massenet´s Oper Werther singen sollen. Kurz vor der ersten Vorstellung schloss das Opernhaus seine Pforten. Ganz spontan haben Joyce DiDonato und Piotr Beczala einfach beschlossen, Auszüge dieser Oper über den Instagram Account der amerikanischen Opernsängerin live aus ihrer Wohnung zu übertragen,mit dabei ein Pianist und ein Harfenist. Die einzigen zwei Hilfsmittel für diese Übertragung waren ein Laptop und ein Smartphone. Auch jetzt noch ist diese wunderbare kleine Vorstellung auf der offiziellen Facebookseite von Joyce DiDonato und auf ihrem Youtube Kanal anzuschauen. Gleichzeitig gibt es auf Facebook auch die Möglichkeit, verschiedene Organisationen, die Künstlern im Rahmen dieser Krise finanziell unter die Arme greifen, zu unterstützen. Eine großartige Idee, die hoffentlich weitere Nachahmer findet.

 

Das alles macht mir persönlich Mut, gibt mir Kraft und Energie, diese schwierige Zeit zu überstehen. Die Menschen rücken wieder, wenn vielleicht auch nicht ganz wörtlich genommen, enger zusammen. Die Künstler, Sänger, Musiker und Dirigenten der Klassikszene, aber auch die Opern- und Konzerthäuser sind da ein besonderes Vorbild. Sie bringen mit ihrer Kunst, Kreativität und Spontanität Licht und Freude in den Alltag der Menschen. DANKE! Ihr seid einach fantastisch!

Und auch sonst ist die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung und unter den Menschen groß. Wer helfen kann ,der unterstützt, wo er kann mit Einkaufshilfen für ältere Nachbarn, die Sorge haben, sich zu infizieren oder mit Betreuungsangeboten für Kinder, die normalerweise in der Schule oder im Kindergarten sind und deren Eltern noch arbeiten gehen müssen. Sich gegenseitig Mut machen, aber auch daran erinnern, wie unglaublich wichtig es ist, sich an die vorgegebenen Maßnahmen zu halten. Dann schaffen wir es gemeinsam!

Und irgendwann ist dieser ganze Spuk vorbei, die Normalität kehrt langsam in unseren Alltag zurück und dann kommt uns alles nur noch vor wie ein schlimmer Albtraum. Wir treffen uns wieder mit unseren Freunden, die Supermärkte sind gefüllt, es gibt wieder Toilettenpapier, Bananen und Nudeln. Und wenn wir das erste Mal wieder ein Theater, ein Konzerthaus oder eine Oper besuchen, werden Glück und Freunde unendlich groß sein und wir werden uns bewusst sein, wie kostbar solche Augenblicke sind und auf keinen Fall selbstverständlich. Genau diese Gedanken und Gefühle sollten wir dann bewusst mit in unseren Alltag nehmen, denn auch, wenn sich ganz sicher alles zum Guten wenden wird, wie zuvor wird es nie mehr sein.

                                    Musik macht das Herz weich.

                                       Ganz still und ohne Gewalt

                                    macht sie die Tür zur Seele auf.

                                                          (Sophie Scholl)