Wenn die Stimme die Seele berührt...

Jonas Kaufmann singt Franz Schuberts schöne Müllerin

                                   18.August 2020

                       Von Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper

(C) Screenshot ORF3 / Livestream Liederabend Grafenegg


Grafenegg am 16. August 2020; es ist 17:00 Uhr, als wir nach einer recht lustigen und etwas turbulenten Fahrt das Festivalgelände in Grafenegg erreichen. Die Sonne strahlte vom blauen und wolkenlosen Himmel und bei einem leckeren Getränk warteten wir in der uns zugewiesenen Wartezone auf den Beginn des Liederabends mit dem Münchner Opernsänger Jonas Kaufmann und seinem langjährigen Liedbegleiter, einem der Besten seines Fachs, Professor Helmut Deutsch. "Die schöne Müllerin" von Franz Schubert stand auf dem gestrigen Programm in Grafenegg. Ursprünglich geplant war im Beethoven- Jahr seine einzige Oper Fidelio gewesen. Aus den wohl allzu bekannten Gründen wurde das gesamte Programm umgestellt und angepasst. So kamen wir letztendlich zu einem Soloabend mit dem symphatischen Weltstar, der es sichtlich genießt, wieder auf der Bühne stehen zu können und das, soweit möglich, vor einem größeren Publikum als noch Ende Juni im Nationaltheater in München. Die Voraussetzungen waren ideal, das Wetter wie bereits erwähnt sommerlich und das den ganzen Abend lang. Die traumhafte Kulisse am Wolkenturm, eingebettet in die wunderschöne Parkanlage des Schlosses in Grafenegg,tat ihr übriges, um diesen Liederabend zu einem Musikgenuss der ganz besonderen Art zu machen.

(C) Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper


Um 19:30Uhr betraten der Sänger und sein Pianist die Bühne am Wolkenturm, wo sie von ihrem Publikum bereits sehnsüchtig erwartet wurden. Beide hatten sich angesichts der sommerlichen Temperaturen gegen einen Frack und für einen eleganten, schwarzen Anzug entschieden. Die grauen Locken des 51Jährigen Opernsängers wirkten frisch geschnitten und in Form gebracht und unterstrichen perfekt seine charmante Erscheinung.

Im Mittelpunkt soll aber selbstverständlich nicht das Äußere stehen, sondern die Magie der Musik...

So konnte Jonas Kaufmann  einmal mehr durch seine unverwechselbare und ausdrucksstarke Stimme sowie  einer detalliiert ausgearbeiteten Fassung der schönen Müllerin überzeugen. Begleitet wurde der deutsche Opernsänger wie bei jedem Liederabend von Professor Helmut Deutsch, einem der besten und renommiertesten Liedbegleiter unserer Zeit, mit dem ihn eine jahrzehntelange Partnerschaft verbindet. Er bereitete mit seinem herausragenden Klavierspiel dem Solisten des Abends den Klangteppich, auf dem dieser sich behaglich fühlen und sorgenfrei bewegen konnte. Der österreichische Pianist erschuf zudem eine Stimmung, die es braucht, um einen Liedzyklus wie den von Franz Schubert intensiv zu erzählen. 

(Wer näher an der Geschichte und den Hintergründen interessiert ist, kann sich beispielsweise auf Wikipedia  informieren.) 

(C) Barbara Horstmann


Es gibt nur wenige Sänger, die auch bei einem Liedzyklus wie der der schönen Müllerin so tief in das Geschehen eintauchen wie der deutsche Ausnahmesänger aus München. So erzählte er auch am Abend des 16. August in Grafenegg eine berührende Geschichte, die sich ähnlich durchaus ergeben haben könnte. Und da Liebe , sei sie erwidert oder unerfüllt , ein ewiges, immer währendes Thema ist , kann wohl jeder Zuhörer bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, was uns Franz Schubert mit seiner schönen Müllerin näherbringen möchte. Auch dem Interpreten des Abends werden, zumindestens Teile dieser Erzählung, nicht ganz fremd sein. Der sympathische Weltstar nahm seine Zuhörer mit auf eine Reise in eine Welt unerfüllter Liebe und Sehnsucht. Zunächst noch freudig, zuversichtlich, fast ein wenig übermütig lässt Jonas Kaufmann den Verliebten erscheinen, unterstrichen von der meist in 32-teln gehaltenen Klavierbegleitung seines Pianisten. Im Laufe des Abends und der Erzählung wechselte die Stimmung zunehmend und Freude, Verliebtheit und Zuversicht schlugen um in Resignation, Verzweiflung, Eifersucht, Wut und eine große Todessehnsucht. Zu erleben war die Wandlung eines Menschen, der von Liebe durchflutet seinen Weg beginnt und irgendwann, von unendlichem Schmerz  erfüllt,  seinem Leben selbst ein Ende setzt.

(C) Link Youtube / Kanal Jonas Kaufmann


Eine Gabe des deutschen Weltstars ist es, die Gefühle seiner Figur,  dessen Geschichte er erzählt , auf allen Ebenen ganz unmittelbar und ohne Umwege in die Herzen seiner Zuhörer zu transportieren. Immer gibt es auf irgendeine Weise einen Bezug zum eigenen Ich, den Jonas Kaufmann in der Lage zu erschaffen ist. Genau diese Verbindung erzeugt eine Authentizität und Dichte, die so tief berührt. Ehrlichkeit ist zu spüren und das Zugeständnis, sich ein kleines Stück weit in die eigene Seele blicken zu lassen. Das erfordert großen Mut und eine ebenso große Offenheit.

Musikalisch bot der Abend alles, was man sich als Klassikliebhaber wünschen kann. Dieses  war auch der ausgezeichneten gesanglichen Leistung des 51 -jährigen Opernsängers zu verdanken. Nach wie vor ist seine Stimme  sehr flexibel, besitzt eine große Strahlkraft in der Höhe und ein wunderbar warmes, baritonal gefärbtes Timbre in den tieferen Lagen. Das Stimmvolumen und der Stimmumfang sind beachtlich, die Ausdruckstärke beeindruckend.  Ein Sänger auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit.

Um die Darstellung besonders intensiv und authentisch zu gestalten, setzte Jonas Kaufmann gekonnt die verschiedenen Farbschattierungen seiner Stimme ein , variierte je nach Situation in der Erzählung die Intensität und Lautstärke. Da gab es kraftvolle Ausbrüche im Forte, geprägt von Wut, Zorn , Eifersucht und Verzweiflung (Nr.14 Der Jäger / Nr.15 Eifersucht und Stolz), dann wieder im Wechsel die zutiefst traurigen und verletzlichen Momente, wenn Trauer, Schmerz und Verzagtheit die Gefühlslage des Müllergesellen bestimmen (18. Trockene Blumen / Nr.19 Der Müller und sein Bach / 20. Des Baches Wiegenlied), gesungen im leisesten und zartesten Pianissimo. In diesen Augenblicken hätte man eine Stecknadel  fallen hören können, so still war es plötzlich am Wolkenturm in Grafenegg.

(C) Barbara Horstmann


Dank einer perfekten Diktion, die Jonas Kaufmann immer wieder auszeichnet, konnte man jedes einzelne Wort, war es auch noch so leise und zart gesungen, glasklar  bis in die letzte Reihe  vernehmen.

Ganz besonders ausdrucksstark wurde die Darstellung durch die Tatsache, dass der Ausnahmekünstler auch Gestik und Mimik so natürlich , fast instinktiv einsetzte und so in der Lage war, die Gefühlslage des jungen Mannes noch intensiver zu vermitteln. Niemals wirkte eine Geste , ein Blick übertrieben oder gar fehl am Platz. Schmerz, Wut, Trauer und Verzweiflung spiegelten sich immer wieder im Gesicht des Münchners ab.Man sagt, die Augen sind der Spiegel der Seele...Schaut man in die Augen des 51Jährigen, wird deutlich wie intensiv er mit seiner Figur verschmolzen ist und wie unendlich tief er eintauchte in seine Gefühlswelt und die Geschichte die er seinem Publikum erzählte.

Eine zutiefst bewegende Darbietung, die noch lange nachklingen wird in den Gedanken und Herzen....

Unbedingt sei erwähnt, dass Helmut Deutsch seinen ehemaligen Schüler auch dieses Mal  mit seinem wunderschönen Spiel auf Händen trug und eine  Brücke schuf zwischen den gesungenen Texten und der Musik. Aufmerksam und einfühlsam war er jederzeit an der Seite des Sängers und berührte selbst durch seine sensible Begleitung am Klavier. Ihm lauschen zu dürfen ist ein großer Genuss und ein Geschenk.

Zwischen den Künstlern war den ganzen Abend eine tiefe Verbundenheit und Vetrtrautheit zu spüren. Man hatte das Gefühl, die Beiden würden sich blind verstehen.

(C) Barbara Horstmann


Der Abend wäre perfekt gwesen, hätten Künstler und auch der Großteil des Publikums nach Verklingen der letzten Töne einige Sekunden der Stille und Einkehr gehabt, um so eine Chance zu erhalten, wieder ganz sanft zurückgeführt zu werden in die Wirklichkeit. Der deutschen Opernsänger wirkte selbst tief bewegt. Ihm war deutlich anzusehen, dass er noch einige Augenblicke benötigt hätte, um sich zu sammeln und mit Seele, Kopf und Herz zurückzukehren in die schöne Kulisse am Wolkenturm. Wer genau hinsah, der konnte wohl erahnen, dass sich der sympathische Künstler unauffällig bei der ersten Verbeugung eine Träge aus dem Auge gwischt hat...

Am Schluss gab es noch drei Zugaben (Der Jüngling an der Quelle, Der Musensohn und Wanderes  Nachtlied), allesamt Auszüge aus dem neuen Album "Selige Stunde", das am 4. September auf dem Klassikmusikmarkt erscheint.

Diese ausgesprochen persönliche Einspielung des Liedduos kann u.a. bei Amazon vorbestellt werden. Ebenfalls zu erwerben auf dem allseits bekannten Onlineportal ist die Aufnahme der schönen Müllerin aus dem Jahre 2009.

Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch wirkten am Ende zufrieden und entspannt und genossen sichtlich die Beifallsbekundungen und Bravorufe des Publikums in Grafenegg am Wolkenturm. Und dank eines ausgesprochen wohl gesonnenen Wettergottes wurde es ein lauer Sommerabend im August ohne einen Tropfen Regen,  erfüllt vom unaussprechlichen Glück vieler Menschen, endlich wieder live Musik erleben zu dürfen.

(C) Hannah Klug / Wunderbare Welt der Oper


                         Musik macht das Herz weich

                          Ganz still und ohne Gewalt

                       macht sie die Tür zur Seele auf

                                             ( Sophie Scholl )