Verdis Meisterwek Otello

Und was seine drei Hauptfiguren antreibt und bewegt

Werkeinführung Teil 2

(C) Katherine Ashmore / Royal Opera House


 

Was sind die Hintergründe für das Handeln von Otello, Desdemona und Jago und warum steht am Ende der Tod?

 


OTELLO:

Befehlshaber der venezianischen Flotte, Statthalter von Cypern und als Mohr bezeichnet. Heute würde man vermutlich sagen: ein Mann mit Migrationshintergrund, vielleicht ein Mann aus dem arabischen Teil der Welt, möglicherweise ein Maure. Oder einfach nur ein Mensch, der von außen in eine bestimmte Gesellschaft eindringt, in die er nicht passt und nie wirklich dazu gehören wird. Er hat Schlimmes im Krieg erlebt, Schmerz, Leid, Folter und Tod. Diese Bilder quälen seine aufgewühlte Seele und tauchen immer wieder in seinem Kopf auf.

 

Otello ist ein angesehener Kriegsherr, ein intelligenter und begabter Mann, aber unerfahren in allen menschlichen Beziehungen, insbesondere in der Liebe. Seine größte Schwäche ist vor allem die unkontrollierbare Eifersucht, aber auch der Wunsch nach Liebe und Geborgenheit. Mit Desdemona geht er seine erste richtige Beziehung ein. Wieviel Erfahrung er in der körperlichen Liebe hat, ist nicht ganz klar. Trotz der Erfolge auf dem Schlachtfeld bleibt er ein Fremder und ein Außenseiter. Genau deshalb ist er das perfekte Opfer für Jagos perfide Intrige.

(C) Katherine Ashmore / Royal Opera House


DESDEMONA:

Seine schöne, junge Ehefrau, aus gutem Hause, die möglicherweise aus Rebellion oder einfach, um von zu Hause auszubrechen, dem Feldherrn gegen den Willen ihres Vaters gefolgt ist. Vielleicht war es auch der Reiz des Unbekannten, die Liebe eines älteren Mannes oder der Wunsch nach einer eigenen Geschichte. Wie naiv ist sie oder verdrängt sie einfach nur die Gefahr? Ich würde sagen, dass sie an das Gute im Menschen glaubt und dabei außer Acht lässt, dass sie nicht die ganze Welt retten kann, insbesondere nicht ihren Mann. Wie erfahren Desdemona in Liebesdingen ist, wissen wir nicht. Aber ganz sicher ist es ihre erste Ehe, vermutlich auch ihre erste Beziehung zu einem Mann. Sie liebt ihren älteren Ehemann aufrichtig und vertraut ihm bedingungslos. Sie glaubt an eine gemeinsame Zukunft und an die Kraft der Liebe und die Hindernisse, die sie überwinden kann.

(C) Katherine Ashmore / Royal Opera House


JAGO:

Fähnrich in Otellos Gefolge und seine rechte Hand. Ein Mann, der in der Lage ist, sich bis zum äußersten zu verstellen. Ein Mensch, der das Böse in sich trägt, es lebt und an seinen Mitmenschen in grausamer Art und Weise auslebt. Er hasst den Feldherrn abgrundtief und hat nur ein Ziel: ihn zu vernichten und sein Leben zu zerstören. Er ist unglaublich gerissen und intelligent und weiß um jede Schwäche, insbesondere der von Otello. Er ist in der Lage, diese Schwachstellen für seine Pläne zu nutzen und nimmt weitere Kollateralschäden als unvermeidbar hin. Die große Frage ist, warum handelt er so, wie er es tut und was ist der Auslöser? Er ist wohl neidisch auf Otello und fühlt sich von ihm übergangen. Irgendwann merkt er, dass er in der Lage ist, seine Mitmenschen zu manipulieren und wieviel Macht er in der Lage ist, auszuüben. Er findet daran Gefallen, ein Teil des Bösen zu sein.

(C) Katherine Ashmore / Royal Opera House

Zu Beginn sei noch einmal auf die ungeheure Macht der Gefühle hingewiesen, mit dem Verdis Meisterwerk versehen ist. Gefühle und insbesondere die negativen wie Wut, Hass, Rache, Eifersucht stehen ganz klar im Vordergrund. Zumindest ist dieses auf der Seite der zwei männlichen Hauptfiguren so. Diese negativen Emotionen potenzieren sich immer mehr und führen am Schluss zu Zerstörung und Tod. Otello, der erfolgreiche und sieggewohnte Feldherr, ermordet am Ende auf ziemlich kalte und brutale Art seine Ehefrau, um sich dann, als er sein Unrecht bemerkt, selbst das Leben zu nehmen. Das klingt, wenn man das so liest, alles andere als unschuldig und liebenswert, ein Ehemann der als Folge seiner unkontrollierbaren Eifersucht zum Mörder wird und sich im Anschluss selbst umbringt. Dieses ist das Ende der Oper. Doch wie kam es zu diesen Handlungen, die innerhalb weniger Augenblicke gleich zwei Leben vernichten. Werfen wir einen Blick auf die familiären, gesellschaftlichen und politischen Hintergründe der drei Hauptfiguren. Woher kommen sie, was sind ihre Gedanken, was treibt sie an und was sind ihre Stärken und vor allem Schwächen ,die sie am Ende in das Verderben treiben.


Ein paar Dinge habe wir schon über die drei Hauptfiguren in Verdis Meisterwerk erfahren. Da ist Otello, der geachtete und erfolgreiche Feldherr und Soldat, der, bevor er in den Krieg gezogen ist, Desdemona geheiratet hat, eine junge Frau aus gutem Hause. Otello ist trotz seiner Erfolge ein Außenseiter geblieben, ein Fremder, der nicht in die Gesellschaft passt, in der er mit Desdemona lebt. Sowohl der Soldat Otello wie auch seine junge Ehefrau haben keine oder nur sehr geringe Erfahrungen in Liebesdingen und gar keine Erfahrungen, was Beziehungen oder gar die Ehe angeht. Desdemona, so weit von der Heimat entfernt, ist zwar stark von Otello abhängig, wird aber andererseits von den Menschen in ihrer neuen Heimat sehr geachtet. Sie glaubt daran, alle Probleme lösen zu können, indem sie darüber spricht. Sie hilft, wo sie kann, setzt sich ein für andere Menschen wie auch für Cassio und ist davon überzeugt, dass niemand von Grund auf böse ist. Sie verdrängt die Gefahr, die von Otello ausgeht und erkennt zu spät, dass es sie das Leben kosten wird. Sie liebt aufrichtig und rein. Die bösartige Intrige von Jago bemerkt sie deshalb zu keiner Zeit und kann darum dieser Gefahr auch nicht entgegensteuern.


Weiter zu Jago, der neidisch ist auf Otello, seine Erfolge und Anerkennung als Kriegsherr und der es ihm übel nimmt, dass dieser Cassio den Posten übertragen hat, der nach seiner Meinung ihm gebührt. Er ist voller Hass auf den erfolgreichen Soldaten. Er beginnt einige Fäden zu ziehen, legt hier und da eine Falle aus, weiß sehr geschickt, die Menschen um sich herum davon zu überzeugen, dass er nur Gutes tun will. So manipuliert er und spinnt langsam aber stetig eine abgrundtiefböse Intrige, um sich an Otello zu rächen und sein Leben vollkommen zu zerstören. Zugleich wünscht er sich auch Rache an Cassio, der ja seiner Meinung nach den Posten innehat, den er verdient. Alle anderen Menschen sind für ihn nicht mehr als Kollateralschäden oder auch Werkzeuge für sein Handeln und seine Ziele. Jago ist ein hochintelligenter Mann, der seine Fähigkeiten einzusetzen weiß, allerdings ausschließlich für das Böse und Schlechte in der Welt, in seiner Welt.  

 


Wie Desdemona sieht auch Otello die Gefahr der Zerstörung und des Todes nicht kommen. Er ist aufgrund seiner Unerfahrenheit und seiner Außenseiterrolle sehr gut manipulierbar und ohne große Mühen für Jago fällt der erfolgreiche Soldat auf die Lügen rein. Otello ist vollkommen überfordert mit den unglaublich starken Gefühlen, vor allem der Eifersucht, weil er sie nie kennengelernt hat. Dieses Thema spielte in seinem bisherigen Leben, das geprägt war von Krieg und Kampf, einfach keine Rolle. Bis zur Heirat mit seiner jungen Ehefrau musste er sich mit solchen Gefühlen nicht auseinandersetzen. Immer hatte er die Kontrolle, hat weitreichende Entscheidungen getroffen, war siegreich auf dem Schlachtfeld und anerkannt bei seinen Untergebenen. Menschliche Beziehungen und starke Emotionen waren viel mehr eine Gefahr der Ablenkung, die einem im Kampf das Leben kosten konnten. So braucht es nicht viel Aufwand für Jago, um seinen ahnungslosen Herrn die Saat des Bösen einzupflanzen und ihm spüren zu lassen, was Misstrauen und Eifersucht im Menschen auszulösen vermögen. Die ungeheure Kraft dieses zerstörenden Gefühls muss Otello als- bald kennenlernen. Von nun an nagt dieser Dämon an ihm und im Laufe der Geschichte steigert sich der Mann,der erfolgreich und geachtet auf dem Schlachtfeld ist, in einen Wahn, den niemand mehr aufhalten kann und der von Jago ständig mit neuer Nahrung versorgt wird.  Auch Desdemona unterstützt, natürlich unbeabsichtigt, diese Spirale von Eifersucht, Wahnsinn, Verzweiflung und Wut. Sie hat Gutes im Sinn, aber vielleicht auch einen gewissen Ehrgeiz, ihre Vorstellungen umzusetzen und für Frieden und Ordnung in ihrer persönlichen Welt zu sorgen. Cassio, der von Otello degradiert wurde, liegt ihr am Herzen und sie hat den Wunsch, ihm zu helfen. Nichts ahnend ,dass ausgerechnet der Hauptmann ein rotes Tuch für ihren Ehemann ist und der Grund von Otellos maßloser Eifersucht geht sie unbeirrt ihren Weg. Alles wird gut. Dass dieses nicht so funktioniert, begreift sie erst, als es bereits zu spät ist.


Jago zieht die Fäden und die Menschen um ihn herum handeln, ohne zu ahnen, dass sie sehr geschickt manipuliert werden.  Im Laufe der Oper steigert sich der sonst so klardenkende und ruhig agierende Heerführer Otello immer mehr in einen immer schwerer kontrollierbaren Wahn, der ihn hin und her schleudert zwischen Wut, Hass, Trauer und Verzweiflung. Er wird zunehmend aggressiver, vor allem seiner unschuldigen Ehefrau gegenüber. Er geht sie körperlich und verbal an; er beleidigt, beschimpft und demütigt sie auf schlimmste Weise. Desdemona ist schockiert, überfordert und tief verletzt durch die massiven Reaktionen und Ausbrüche ihres Ehemannes und schiebt dann doch alle ihre Ahnungen beiseite und handelt weiter wie bisher. Jago muss nur noch zusehen und hin und wieder unauffällig eine Situation steuern. Alles andere erledigen seine Opfer, insbesondere Otello selbst. Die Spirale von Gewalt, Hass, Wut und Eifersucht dreht sich unaufhaltsam weiter nach unten, um schließlich mit dem Tod zu enden. Und der Auslöser für dieses Drama sind die Sehnsüchte der Hauptprotagonisten, ihre Schwächen und ihre unglaublich starken Gefühle, die außer Kontrolle geraten. Die Fähigkeit zur Manipulation und die Anfälligkeit, manipuliert zu werden sowie ein kleines Stück Stoff in Form eines Taschentuchs-Il Fazzoletto- sind Ursprung und Auslöser des Alptraums.  Zum Schluss dreht der ohnehin vom Krieg traumatisierte und vom Dämon der Eifersucht erfasste Kriegsherr vollkommen durch. Das Drama endet da, wo es begann, im Schlafgemach von Otello und Desdemona, dem Ort ihrer ersten und einzigen Liebesnacht. Desdemona sieht am Ende dann doch, wie alles kommen wird und dass diese letzte Begegnung für sie den Tod durch ihren Ehemann bedeuten wird, aber es ist zu spät. Otello, der sich im Recht sieht und nur noch kontrolliert wird von seiner massiven Eifersucht und dem Gedanken an Rache, hat kein Gehör mehr für seine Ehefrau. Er demütigt sie abermals und bringt sie ohne weiteres Zögern auf brutale Weise um. Noch immer sieht er sich im Recht und ist ohne Reue und Bedauern. Erst als er die Wahrheit erfährt, bricht er zusammen und begreift verzweifelt, dass er sein Glück und seine Zukunft für immer zerstört hat. Für ihn gibt es nur den einen Weg, sich selbst das Leben zu nehmen. Nur so ist es möglich, sich mit Desdemona zu vereinen und diese unbefleckte Liebe für immer zu bewahren. Der Tod ist für ihn der Neubeginn in einer anderen Welt…


Auf die einzigen zarten Momente im Liebesduett am Ende des ersten Aktes bin ich schon im ersten Beitrag zur Vorbereitung auf diese Neuinszenierung von Verdis Meisterwerk eingegangen. Sie spielt natürlich eine ganz entscheidende Rolle für die Entwicklung des Stücks. Sie zeigt nicht nur die Unerfahrenheit von Otello und Desdemona in Sachen Beziehungen und die unglaubliche Sehnsucht des Feldherrn nach Glück, Liebe und Geborgenheit, sondern führt auch zum Auslöser von Otellos unkontrollierbarer Eifersucht: die Unfähigkeit, Gefühle einzuordnen, zu kontrollieren und zu verarbeiten. Hinzu kommt das Aufzeigen der schrecklichen Kriegserlebnisse, Folter, Schmerzen, Leid und Tod. Sie machen einen großen Teil seiner Persönlichkeit aus, da sie ihn stark geprägt haben. Diese Zerrissenheit und Unsicherheit nutzt Jago für seine perfiden Pläne. Auch wenn er am Ende sicher nicht zu den ganz großen Gewinnern zählt, sein Plan, Otello zu zerstören, ist aufgegangen, die Rache wurde vollendet.